Neustes Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) zum Elternunterhalt

  • Mit Beschluss vom 12. Februar 2014 unter dem Aktenzeichen XII ZB 607/12 hat der Bundesgerichtshofs entschieden, dass ein vom Unterhaltsberechtigten ausgehender einseitiger Kontaktabbruch gegenüber seinem volljährigen Sohn für eine Verwirkung seines Anspruchs auf Elternunterhalt allein regelmäßig nicht ausreicht.
    Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Die Eltern des 1953 geborenen Antragsgegners trennten sich 1971; ihre Ehe wurde noch im selben Jahr geschieden. Der Antragsgegner verblieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch einen losen Kontakt zu seinem Vater. Nach Erreichen des Abiturs im Jahr 1972 brach der Kontakt des volljährigen Sohnes zu seinem 1923 geborenen Vater ab. Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus den Erträgen einer Lebensversicherung sowie einer geringen Altersrente. 1998 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte. Zudem bestimmte er, dass der Antragsgegner nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle. Erläuternd führte der Vater in dem Testament aus, dass zu seinem Sohn seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr bestehe. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung. Der – zur Höhe unstreitige - Anspruch auf Elternunterhalt war trotz des Kontaktabbruchs zu dem volljährigen Sohn nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB* verwirkt.


    Aus den Entscheidungsgründen: Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt wegen der darin liegenden Verletzung der sich aus § 1618 a BGB ergebenden Pflicht zu Beistand und Rücksicht zwar regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht festgestellt. Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem volljährigen Sohn aufgekündigt haben. Andererseits hat er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert. Er hat daher gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt. Die Errichtung des Testaments selbst stellt keine Verfehlung dar, weil der Vater insoweit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat.

  • Ich weiß, dass dieses Urteil hohe Wellen schlägt und derzeit sehr kontrovers diskutiert wird. Meiner Meinung nach (also nur, falls das jemanden interessiert ...) ist das Urteil zu begrüßen. Bevor jetzt ein Aufschrei durchs Forum geht, bitte ich folgendes zu bedenken: Es muss schon viel passieren, dass ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch verwirkt wird. Ich kann die Begründung des Gerichts voll verstehen. Ein einseitiger Abbruch des Kontakts kann hierzu wohl noch lange nicht ausreichen.

  • Guten Abend!


    ich finde das Urteil skandalös. Es dient ausschließlich dem Staat, welcher dadurch immense Summen an Pflegekosten spart.


    Allein der Kontaktabbruch ist ja noch nicht so verwerflich, zumal das Kind da ja schon fast volljährig war und der Vater vermutlich seine Betreuungs- und Unterhaltspflichten erbracht haben dürfte. Aber in Kombination mit dem Enterben, und lediglich den Pflichtteil zugestehend, zeigt mir das Verhalten, dass der Vater seinem Sohn keine weiteren finanziellen Zuwendungen mehr geben wollte.


    Warum soll dann das enterbte Kind noch finanziell für den Vater aufkommen müssen? Es hatte finanziell nichts mehr von Vater zu erwarten, also muss das auch in die andere Richtung so gesehen werden.


    Ich bin gespannt, was passiert, wenn das mal ausgeurteilt wird, vor dem Hintergrund, dass ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht zu Zeiten der Minderjährigkeit des Kindes nicht nachgekommen ist. Die Gesetze geben es ja heute schon her, aber ob das dann im Ernstfall auch so geurteilt wird?


    LG chico

  • Für mich geht das Urteil so in Ordnung. Würde man die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung danach ausrichten, wie das Verhältnis der Beteiligten zueinander ist, mag ich mir die Menge an schmutzigen Gerichtsverfahren gar nicht vorstellen. Wohl fast jedes unterhaltsverpflichtete Kind hätte auf einmal verantwortungslose Eltern... Auch beim Kindesunterhalt orientieren wir uns - zu Recht! - nicht an der Frage, ob Kontakt vom Kind ev. abgelehnt wird, Kinder undankbar sind, ihr Zimmer aufräumen etc. Beim Trennungs- und nachehelichen Unterhalt interessiert es uns ebenfalls nicht mehr, ob sich der Unterhaltsberechtigte wohl und dankbar verhält und immer treu und ehrlich war...


    Die Freibeträge beim Elternunterhalt sind sowohl beim Vermögen als auch beim Einkommen akzeptabel und bringen kein Kind in eine echte finanzielle Notlage.


    Das vorliegend auf den Pflichtteil beschränkt wurde spielt, doch auch keine wirkliche Rolle. Zu dem Zeitpunkt, wenn Eltern selbst Unterhalt benötigen sitzen sie in der Regel im Heim, haben ihr Vermögen bereits verbraucht und ohnehin nichts mehr zu vererben...


    Und last but not least.... Als leistungsfähiges `Kind` werde auch ich nicht gerade begeistert sein, wenn ich später mal ran muss... als Steuerzahlerin begrüße ich es, nicht für anderer Leute Eltern zu zahlen, wenn`s auch anders geht.

  • In Ergänzung zu den sehr zutreffenden Ausführungen von Bleu: jemand auf den Pflichtteil setzen, dies hat doch überhaupt nichts mit abstrafen durch Enterben zu tun. Es geschieht doch häufig, um einen Streit zu vermeiden. Z.B., einer erbt die Firma, und damit kein Streit in der Geschäftsführung aufkommt, werden die anderen auf den Pflichtteil gesetzt. Das ist doch ein absolut übliches Vorgehen, ohne dass da irgendwas draus geschlossen werden kann.


    Aber - wenn das Kind für die Pflege des Elternteils in Anspruch genommen wird, dann ist doch ohnehin nichts mehr da, was zu vererben wäre.


    Herzlichst


    TK

  • Es wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder argumentiert, dass sich der Staat auf Kosten von Angehörigen aus seiner Leistungspflicht stehlen will. Ich sehe keine Verpflichtung des Staates, Heimkosten, Kindergartenkosten, Kinderbetreuung und sonst noch was automatisch für seine Mitbürger zu übernehmen. Die öffentliche Hand sollte nur dann einspringen müssen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Dann ist es für mich auch völlig in Ordnung, dass Familien zur Regelung ihrer privaten Angelegenheiten Steuermittel zur Verfügung gestellt bekommen. Ansonsten aber nicht.

  • Es wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder argumentiert, dass sich der Staat auf Kosten von Angehörigen aus seiner Leistungspflicht stehlen will. Ich sehe keine Verpflichtung des Staates, Heimkosten, Kindergartenkosten, Kinderbetreuung und sonst noch was automatisch für seine Mitbürger zu übernehmen. Die öffentliche Hand sollte nur dann einspringen müssen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Dann ist es für mich auch völlig in Ordnung, dass Familien zur Regelung ihrer privaten Angelegenheiten Steuermittel zur Verfügung gestellt bekommen. Ansonsten aber nicht.

    O.K. dann nehmen wir auch Enkel und Urenkel, Arbeitgeber, Nachbarn in die Pflicht?
    Man sollte mal überlegen, wo der Staat ohne Not noch so überall gern und schnell mit dem Geld der Steuerzahler einspringt!

    Bedenkenswert wäre auch, warum speziell in Deutschland die Renten im Verhältnis zur Leistung der Versicherten so gering sind, dass sie zwangsläufig dazu führen, dass aus eigenem Einkommen in vielen Fällen die immensen Kosten einer Unterbringung in einem Pflegeheim nicht bezahlbar sind,
    Hierzu ein nettes Video: https://www.youtube.com/watch?v=T_1HKdAUJHk&t=291s
    Natürlich sollen die Betreiber dieser Heime ordentliche Profite machen um die Zahl ihrer Filialen beständig zu erhöhen, dafür sorgt die Politik schon.

  • Die öffentliche Hand sollte nur dann einspringen müssen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.

    Sehr einfach gedacht aber extrem kompliziert umzusetzen und wer bitte entscheidet über die anderen Möglichkeiten.

    Ich bleibe bei meiner Meinung, das die derzeitige EU-Regelung nur die Leistungsfähigen abschöpft und das ist ungerecht!


    LG frase

  • Aber - wenn das Kind für die Pflege des Elternteils in Anspruch genommen wird, dann ist doch ohnehin nichts mehr da, was zu vererben wäre.

    Das ist sehr richtig.

    Wenn dieses Kind aber lange vorher( 10 Jahreszeitraum) den Pflichtteil gefordert hat, ist dieser Teil vererbt und konnte ja nicht mehr aufgebraucht werden.

    Auch eine Rückforderung wird dann nicht mehr möglich sein. So hat diese Kind doch einen Teil des Erbes erhalten.

    Wenn es mehrere Erben gibt, ist dann der Jenige der "Dumme" der seinen Pflichtteil nicht geforder hat. Er geht dann leer aus, weil ja vorher alle Vermögenswerte bis auf einen Freibetrag aufzubrauchen sind. Möglicherweise darf er dann aber noch EU zahlen.

    Ein Gedanke der mir Unbehagen bereiteten würde.


    LG frase

  • Er geht dann leer aus, weil ja vorher alle Vermögenswerte bis auf einen Freibetrag aufzubrauchen sind

    grundsätzlich richtig, aber etliche Sozialhilfeempfänger haben ein Häuschen, dieses kann jedoch nicht sofort verwertet werden

    das Sozialamt hat dann die Möglichkeit gemäß § 91 SGB XII einen Kredit zu gewähren der dann dinglich (Grundbuch) gesichert wird

    § 91 Darlehen

    Soweit nach § 90 für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die, die es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde, soll die Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden. Die Leistungserbringung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird.


    und wenn das Elternteil stirbt, kommt § 102 SGB XII zum Einsatz und holt sich die Sozialhilfe von den Erben wieder

    § 102
    Kostenersatz durch Erben


    (1) 1Der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben, ist vorbehaltlich des Absatzes 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet

  • GuMO Unikat,


    das finde ich einen interessanten Aspekt. Wie sieht es mit rechtzeitiger Schenkung mit Wohnrecht bis zum Tod aus?

    Das dies dann auch Einfluss auf den UHP haben kann sehe ich schon, aber dem Amt ist so der indirekte Zugriff doch sehr erschwert, oder?


    LG frase

  • Wie sieht es mit rechtzeitiger Schenkung mit Wohnrecht bis zum Tod aus?

    Das dies dann auch Einfluss auf den UHP haben kann sehe ich schon, aber dem Amt ist so der indirekte Zugriff doch sehr erschwert, oder?

    ist der Antrag auf Sozialhilfe bereits gestellt, dann wirds schwierig


    es gibt gewisse Gestaltungsmöglichkeiten, den Zugriff des Sozialamts zu verhindern, ist ein besonderes Kapitel, damit habe ich mich nur am Rande beschäftigt, ist nicht so mein Gebiet

  • grundsätzlich richtig, aber etliche Sozialhilfeempfänger haben ein Häuschen, dieses kann jedoch nicht sofort verwertet werden

    das Sozialamt hat dann die Möglichkeit gemäß § 91 SGB XII einen Kredit zu gewähren der dann dinglich (Grundbuch) gesichert wird

    in Fällen wie diesen gibt es keine 100.000 Grenze, es wird auch nicht das Unterhaltsrecht bzgl. Leistungsfähigkeit angewandt

    nur bei § 528 BGB, Rückforderung von Geschenken, wird das Unterhaltsrecht angewandt bzgl. Leistungsfähigkeit angewandt, die 100.000 Grenze spielt dabei keine Rolle

  • was bedeutet hier rechtzeitig?

    Ich dachte wie beim Erbrecht wäre hier die 10-Jahresfrist ein guter Anhaltspunkt.

    In einem Fall, der mir persönlich bekannt ist, hatten sich Vater und Sohn nach dem Tod der Mutter zerstritten, weil der Sohn seinen Pflichtteil gefordert hatte.

    Der Sohn erhielt die beanspruchte Summe (rein Geldvermögen, keine Immo.). Nun ist der Vater nach über 15 Jahren Dement geworden und seine eigenen Ersparnisse fast aufgebraucht. Antrag auf Sozialhilfe steht kurz bevor, der Vater lebt seit 6 Jahren im Pflegeheim.

    Damals haben alle den Sohn als "habgierig" abgestempelt. "Du bekommst doch nach dem Tod deines Vaters noch genug...".

    Heute sehen das Bekannte und Freunde, die selber möglicherweise bald EU zahlen dürfen etwas anders.


    LG frase

  • Wie sieht es mit rechtzeitiger Schenkung mit Wohnrecht bis zum Tod aus?

    Wie wirkt sich die Schenkung auf den Pflichtteil aus?

    Letztlich streitentscheidend, ob das geschenkte Haus in Höhe eines Miteigentumsanteils des Klägers in den Pflichtteil eingerechnet werden musste oder nicht, war die Frage:

    Stand das Nutzungsrecht der Eltern dem Ablauf der pflichtteilsrechtlichen Zehn-Jahres-Frist entgegen?

    Der BGH beantwortete dies mit Nein.


    Umgehung des Pflichtteils oder legitime Schenkung?

    Die Frist beginnt mit Eintritt des Leistungserfolges. Bei Grundstücken ist das der Zeitpunkt, zu dem die Umschreibung im Grundbuch stattgefunden hat (BGH, Urteil vom 02.12.1987, IVa ZR 149/86, BGHZ 102, 289, 292).

    An sich klingt das alles sehr einfach, doch wie so oft liegt die Tücke im Detail.

    • Der BGH geht nämlich auch davon aus, dass eine Leistung in diesem Sinne nicht schon vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt,
    • sondern erst, wenn er auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand - sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche - im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395, 398 f.).



    Also wie immer, es hängt vom Einzelfall ab