Elternunterhalt Verwirkung - Konkreter Sachverhalt

  • Hallo liebes Forum,


    Ich habe mich registriert um um Rat zum Thema Elternunterhalt zu fragen. Es geht um den abstrakten Fall das ein Kind für seinen Vater unterhaltspflichtig wird.


    Daher interessiert mich eure Einschätzung / Erfahrung, ob in diesem Fall eine Verwirkung in Betracht kommt. Ich hoffe die Eckpunkte sind unten klar dargestellt.


    Die Situation ist die Folgende:

    • Bisher gab es keine Kommunikation mit dem Sozialamt oder anderen zu der Situation


    Kind / Unterhaltspflichtiger (UHP):

    • Unterhaltspflichtige (UHP) ist ca. 30 Jahre alt, ledig
    • Seit 3 Jahre berufstätig
    • Verdient in inkl. eines Bonus über 100k € im Jahr (60h+ Woche)
    • Bonus ist ein substantieller Anteil, aber kein fester Einkommensbestandteil
    • UHP's Mutter ist vor 20 Jahren verstorben
    • Eine Rechtsschutzversicherung (mit Unterhaltsrecht) ist vorhanden


    Vater (V):

    • UHP's Vater (V) ist 65 Jahre alt
    • V war lange Jahre Geschäftsführer einer GmbH
    • GmbH wurde liquidiert, V hat keine Arbeit erledigt und GmbH machte Verluste
    • Auf Grund der aus der Liquidation entstandenen Schulden hat V alle Vermögenswerte verloren (Haftung über Grundschuld, wollte Haus halten)
    • V bekommt vermutlich nur eine sehr niedrige Rente <500€ (GmbH GF)
    • V war und ist Alkoholiker (mal mehr mal weniger...). V war dazu nie in Behandlung bzw. es wurde nicht erkannt/weggesehen
    • V hat Familie in frühester Kindheit bereits einmal verlassen und kam nur aus "gesellschaftlichem Zwang" zurück
    • Mutter wurde deswegen mit Depressionen behandelt (Streits, Drohungen, etc.) - Schriftliche Dokumentation von Ärzten dazu vorhanden


    UHPs Kindheit/Jugend:

    • UHP hatte keine schöne Kindheit/Jugend und wurde von V häufig bedroht und eingeschüchtert, ein Vertrauensverhältnis gab es nie (dies könnte UHP praktisch unendlich weiter hier ausführen)
    • Nach dem Tod seiner Mutter wurde der UHP über Jahre für mehrere Stunden am Tag durch andere Verwandte betreut (welche zT ihre eigene Berufstätigkeit dafür eingeschränkt haben)
    • V hat gegen den Willen des UHPs das Erbe seiner Großmutter (einige Tausend Euro) von Ihm verlangt um Rechnungen zu begleichen (- dies konnte UHP später wieder zurückfordern / pfänden)



    UHPs Schulausbildung/Studium

    • Mit 18 Jahren verschlechterte sich die Situation so sehr, dass man die Wohnung nicht mehr heizen konnte und V den Barunterhalt nicht sicherstellte (d.h. nicht genug Geld für Essen während er auf Montage im Ausland war)
    • Es war dem UHP unmöglich sich auf die Schulausbildung zu konzentrieren
    • Daher bekam er mit 18 für einige Monate ALG II ("Hartz 4) um in eine eigene Wohnung zu ziehen und sein Abitur abzuschließen (als Härtefall, da unter 25 Jahre)
    • UHP hat seit dem 18. Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu V (Kontaktversuche des UHPs wurden von V einseitig nicht erwidert)
    • Im Anschluss hat UHP ein Studium begonnen
    • UHP hat V wiederholt um Unterhalt gebeten (auch schriftlich)
    • UHP wurde Bafög als Vorausleistung gezahlt, da die Ausbildung sonst gefährdet war (d.h. als Ersatz für Unterhalt)
    • Insgesamt hat UHP für 6 Jahre Bafög bezogen (immer als Vorausleistung)
    • Laut den Bescheiden war V unterhaltspflichtig (für mindestens 4 Jahre). Er gab jedoch weder direkt Auskunft noch unterstützte er den UHP.
    • Die Unterhaltsansprüche sind zT auf das Bafögamt übergegangen und wurden eingeklagt
    • V hätte ohne Kontaktabbruch nie zugelassen, dass UHP eine Universität besucht


    Ich freue mich über eure Einschätzung zu diesem Fall und möchte mich im Voraus für die Antworten bedanken.


    VG
    CC

  • Hallo CharlesCalthrop ,


    willkommen im Forum. :)


    Ich gehe davon aus, dass dein Vater noch keine Sozialhilfe erhält und du noch keine RWA erhalten hast.


    Sollte die RWA kommen, dann würde ich zweigleisig vor gehen:

    • Vollständig Auskunft geben
    • Parallel unter Bezug auf § 1611 BGB einen Wegfall bzw. Beschränkung des EU einfordern. Ich schätze Deine Chancen aber sehr gering ein, dass § 1611 BGB in diesem Fall zum Zuge kommt.

    Falls zu erwarten ist, dass du mal vom SA zur Kasse gebeten wirst, dann solltest du rechtzeitig Schulden machen. Rechtzeitig heißt, vor Erhalt der RWA, denn danach werden Schulden nicht mehr anerkannt.


    Gruß
    awi

  • Hallo awi,


    vielen Dank für deine Antwort.


    Zu 2.) würde mich interessieren wieso du die Chancen als gering einschätzt. Ist das Nichtnachkommen einen Unterhaltspflicht zu Zeiten der Ausbildung nicht eine schwere Verfehlung?


    Bezüglich der Verschuldung stellt sich mir die Frage, wie ich dabei vorgesehen soll, wenn ich davon ausgehen muss, dass das Einkommen über die Jahre weiter steigt.


    viele Grüße

  • würde mich interessieren wieso du die Chancen als gering einschätzt. Ist das Nichtnachkommen einen Unterhaltspflicht zu Zeiten der Ausbildung nicht eine schwere Verfehlung?


    Wieso ich deine Chancen als gering einschätze?
    Weil ich mich seit 10 Jahren mit EU beschäftige und Urteile zu ähnlichen Fällen kenne.


    Alkohol wird von Gerichten eher als Krankheit eingestuft. Dem SHT gegenüber würde ich das Wort Alkohol auf keinen Fall erwähnen.


    „keine schöne Kindheit“ wird als Grund m.E. nicht anerkannt. Wenn es hier keine dokumentierte Misshandlung gibt, dann läuft das ins Leere. Während heute sogar Schläge als Misshandlung gewertet werden, war das früher eine anerkannte Erziehungsmethode.


    Das Erbe der Großmutter wurde zurück gezahlt.


    Bis zu deinem 18. Lebensjahr kam dein Vater seiner Unterhaltspflicht offensichtlich nach. Eine Verfehlung wird von Gerichten als um so schwerwiegender beurteilt, je jünger das Kind ist.


    Es wird nicht ersichtlich,warum dein Vater den Barunterhalt nicht sicher stellte. Wollte er nicht oder konnte er nicht? Vielleicht brauchte er das Geld, um seinen eigenen Unterhalt sicher zu stellen. Du musst dich aber darauf einstellen, dass du beweisen müsstest, dass er konnte, aber nicht wollte.


    Du erhielst Leistungen nach ALG II und BafÖG. Inwiefern diese Leistungen von den Behörden erfolgreich zurück gefordert werden konnten wird nicht ersichtlich. Auf jeden Fall konntest du deine Ausbildung mit Erfolg beenden.


    Nichtsdestoweniger solltest du auf jeden Fall den Einspruch nach § 1611 BGB machen.
    Es hängt ja oft auch von den Personen ab, die den Fall dann bearbeiten, ihren Erfahrungen, eigenen Erlebnissen usw.


    Schildere deine Situation möglichst detailgetreu, vermeide aber Übertreibungen. Füge Beweise bei bzw. kündige sie für den Fall des Falles an.


    Bezüglich der Verschuldung stellt sich mir die Frage, wie ich dabei vorgesehen soll, wenn ich davon ausgehen muss, dass das Einkommen über die Jahre weiter steigt.


    Wie du vorgehen sollst habe ich schon beschrieben.
    Rechtzeitig hohe Schulden machen, natürlich Schulden, die vernünftig sind und die für dich einen Vorteil bringen. Rechtzeitig heißt, bevor dein Vater einen Sozialhilfeantrag stellt, damit sie in voller Höhe wirksam sind.


    Hier kannst du nachlesen wie sich Schulden auswirken:


    https://hilferundumsfamilienre…arsame-der-dumme-t30.html

  • Hallo!


    Zitat

    Ist das Nichtnachkommen einen Unterhaltspflicht zu Zeiten der Ausbildung nicht eine schwere Verfehlung?


    Eine schwere Verfehlung ist zum Beispiel körperliche Gewalt (darunter fallen nicht die "damals üblichen" Erziehungsmittel), sexueller Missbrauch oder als Beispiel das Nichtkümmern der Eltern, in dem man das Kind einfach jahrelang bei den Großeltern lässt. Das ist natürlich keine abschließende Aufzählung.


    Das "Nichtnachkommen der Unterhaltspflicht" für einen Volljährigen, der diesen Anspruch zunächst selbst hätte gegnüber dem Vater geltend machen müssen,was hier zwar schriftlich geschehen ist, aber anscheinend nicht in einem gerichtliche Verfahren geregelt worden ist, fällt nicht unbedingt in dieselbe Kategorie wie die o. g. Sachverhalte.


    Deshalb solltest du dich trotzdem an die Zweigleisigkeit, wie von awi vorgeschlagen, halten. Ggf. wird bei Leistungsfähigkeit der Unterhalstbeitrag reduziert. Deiner Aussage gegenüber stehen wird die Sicht des Sozialamtes, dass dein Vater wenigstens 18 Jahre ausreichend, wenn auch nicht besonders liebevoll, seiner Unterhaltspflicht nachgekommen ist.


    Hilfreich kann es sein, deine Aussage durch Nachweise und Zeugenaussagen so gut wie möglich belegen zu können. Gibt es Verwandte/Bekannte, die die Situation und das Verhalten des Vaters bestätigen können? Interessant wäre zum Beispiel der Punkt "Bedrohung" und das "Verlassen in frühester Kindheit".
    Die Sachbearbeiter entscheiden dann auch immer nach gängiger Rechtsprechung und auch ein bisschen Bauchgefühl, ob es sich nun für sie nach einer schweren Verfehlung anfühlt oder um wie viel Prozent die Unterhaltspflicht auf Grund der Hintergrundgeschichte reduziert werden sollte.


    Viele Grüße

  • Vielen Dank für die ausführliche Antwort awi,


    in meiner ersten Frage hatte ich den Zusammenhang vielleicht etwas kurz zusammengefasst, daher unterstehend nochmal einige Ergänzungen.