Angehörigen-Entlastungsgesetz, "100.000 Euro"-Grenze, Entwurf: die Angehörigen der Grundsicherung-Empfänger werden schlechter gestellt?




  • Dass Werbungskosten das Brutto-Gesamteinkommen nach §16 SGB IV mindern bestätigte auch das BSG

    Zitat

    BSG, Urteil vom 22. 5. 2003 – B 12 KR 13/02 R


    [10] 2. Unter dem Gesamteinkommen iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V ist das Gesamteinkommen des § 16 SGB IV zu verstehen. Danach ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts (Halbsatz 1). Es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen (Halbsatz 2). Zur Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts zählen die Einkünfte aus Kapitalvermögen, bei deren Ermittlung der Sparer-Freibetrag abzuziehen ist (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5, § 20 Abs 4 EStG; vgl schon BSG SozR 3—2500 § 10 Nr 19 S 78 mit Nachweisen). Das gilt nunmehr auch für den Zugang zur Familienversicherung nach § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V.

    [11] 3. Soweit die Rechtsprechung zum Gesamteinkommen früher zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, setzt der Senat sie für die Zeit ab 1995 nicht fort.

    [12] a) Das Bundessozialgericht (BSG) hat das Gesamteinkommen iS der Regelung über die Familienhilfe (bis Ende 1988 in § 205 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 der Reichsversicherungsordnung [RVO]) und iS der Nachfolgeregelung zur Familienversicherung (ab 1989 in § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 Halbsatz 1 SGB V) seit der Geltung des § 16 SGB IV (ab Juli 1977) grundsätzlich steuerrechtlich bestimmt (BSGE 48, 206, 207/208 = SozR 2200 § 205 Nr 22 S 42; BSG SozR 2200 § 205 Nr 23 S 46 ff; BSG SozR 3—2500 § 10 Nr 19 S 76 ff). Ebenso ist es vorgegangen, soweit das Gesamteinkommen nach § 205 Abs 1 Satz 2 RVO (später § 10 Abs 3 Halbsatz 1 SGB V) für den Ausschluss der Kinder von der Familienhilfe (Familienversicherung) bedeutsam war, weil nur ein Elternteil der gesetzlichen Krankenversicherung angehörte (BSG SozR 2200 § 205 Nr 43, 45, 52; BSGE 62, 90 = SozR 2200 § 205 Nr 63). Nach dieser Rechtsprechung zum Gesamteinkommen waren Renten nicht mit dem Zahlbetrag, sondern nur mit dem Ertragsanteil zu berücksichtigen (BSGE 48, 206 = SozR 2200 § 205 Nr 22; BSG SozR 2200 § 205 Nr 23). Auch das Arbeitsentgelt aus abhängiger Beschäftigung wurde für die Bestimmung des Gesamteinkommens nicht als Bruttoarbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 SGB IV, sondern nach § 16 SGB IV in einer steuerlichen Betrachtungsweise zu Grunde gelegt und deshalb der Abzug von Werbungskosten zugelassen (BSGE 48, 206, 208/209 = SozR 2200 § 205 Nr 22 S 43 f; Nr 43 S 113/114; Nr 52 S 143 f; abweichend anscheinend BSG SozR 2200 § 205 Nr 23 S 49).

  • Hallo Meg,


    vielen Dank für für diese sehr hilfreichen Urteile.

    In Anbetracht der hier schon vorlaufenden 13 Seiten wäre ein neues Thema (z.B. Urteile zur Berechnung der 100.000€ Grenze) oder die Zuordnung in das schon öffene Thema:


    Berechnung 100.000 Euro Grenze. Welches Einkommen wird berücksichtigt ?


    passender.


    Ich finde es auch wichtig, das die wenigen Betroffenen genau auf solche Sachverhalte hingewiesen werden sollten.

    Die Zeit bringt es mit, das die Ämter erst langsam aus der Deckung kommen und mit ihren neuen Strategien versuchen werden, den Regress zu betreiben.


    Gruß


    frase

  • wäre ein neues Thema (z.B. Urteile zur Berechnung der 100.000€ Grenze)

    Du kannst gerne ein solches Thema eröffnen und es mit Inhalt füllen, wenn Du es für richtig hältst :) ich werde mich dann vielleicht auch mitbeteiligen




    In diesem Thread ging es auf den 13 Seiten auch um Werbungskosten, deswegen habe ich diesen Thread gewählt um das Urteil zu posten.

    Ja, die Wahl eines richtigen Threads ist nicht immer einfach, auch was den Namen und den Inhalt angeht. Man kann auch nicht gut kontrollieren in welche Richtung(en) die Diskussion eines Threads sich entwickelt, ob die Fragen aufgeworfen werden, die mit dem Rest des Threads nichts zu tun haben.


    Dieser Thread hat auf bis jetzt 13 Seiten folgende Hauptziele verfolgt:

    - aufzuzeigen, welche Nachteile und Gefahren die aktuelle Gesetzgebung mit sich bringen kann und was man dagegen u.U. tun könnte;

    - zeigen für wen diese Nachteile und Gefahren gelten, jetzt und in der Zukunft;

    - entsprechende Urteile und Kommentare hier zu posten.


    Ja, es gab und gibt es andere Threads mit ähnlichen Fragestellungen.

    Ich verstehe Deinen Vorschlag so, dass er in Richtung Lesbarkeit und Übersicht geht. Eine perfekte Lösung habe ich bis jetzt nicht gefunden, werde erstmal versuchen diesen Thread hier weiterhin zu pflegen.


    die wenigen Betroffenen genau auf solche Sachverhalte

    Es sind m.E. nicht wenige


    Grüße,

    m

  • Hallo Meg,


    es war ja nur ein Vorschlag und ich habe keinerlei Urteile zu dem Thema.

    Glücklicherweise musste ich bisher nicht vor Gericht und hoffe, das dies auch so bleibt.

    Alle meine Kontakte sind durch das AEG von EU nicht mehr betroffen.

    Das Interesse ist einfach weg, das sieht man ja auch hier im Forum.

    Wie du schon richtig vermutet hattest, habe ich an eine Übersicht zu den hier schon genannten Urteilen gedacht.

    Es gibt ja Fragesteller, die genau danach suchten.

    Ob es nun mehr oder weniger Betroffene sind, das sehen die jeweiligen Einkunftsbezieher halt von ihrer Seite.

    Natürlich wird es eine weiter steigende Zahl geben, wenn die fixe Grenze nicht an die Einkunftsentwicklung angeglichen wird.

    Daher bin ich mal gespannt, ob jemand der "Besserverdiener" bis zur letzten Instantz Klage führt und wir das dann auch mitbekommen.


    Gruß


    frase



  • Zwar aus einem anderen Kontext, aber hier eine alternative Definition, mit der man eher was anfangen kann.

    Zitat


    DIE RHEINPFALZ, RHEINPFALZ Verlag

    30. August 2020



    SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz hat für den Fall eines Wahlsiegs Steuererhöhungen für Besserverdienende angekündigt. „... Leute, die ein paar Hunderttausend Euro verdienen, künftig einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten können“, sagte Scholz der „Rheinischen Post“

    Wenn man eine solche oder ähnliche Definition auch beim Elternunterhalt anwenden würde, dann wäre es m.E. nachvollziehbar gewesen.



  • Diese Rechtsprechung hat das BSG auch in den nachfolgenden Jahren fortgesetzt, z.B. in

    BSG Urteil 25.08.2004 - B 12 KR 36/03 R

    BSG Urteil 09.10.2007 – B 5b/8 KN 1/06 KR R


    oder auch

    Zitat

    BSG Urteil v. 25.04.2013 - B 8 SO 21/11 R


    ...Gesamteinkommen ist danach die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts (§ 16 Halbsatz 1 SGB IV) und umfasst insbesondere Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 16 Halbsatz 2 SGB IV). Mit dem in Halbsatz 1 enthaltenen Verweis auf das Steuerrecht werden diejenigen Einkünfte in Bezug genommen, die der Steuerpflicht unterliegen, sodass zB Steuerfreibeträge oder Werbungskosten abzuziehen sind (BSGE 91, 83 ff RdNr 7 ff = SozR 4-2500 § 10 Nr 2).

  • Vielen Dank an frase und Meg , dafür dass ihr das Forum zum Elternunterhalt so engagiert am Leben haltet.

    Das habe ich mir gestern auch gedacht, als ich die entsprechenden Beiträge gelesen habe. Auch von mir besten Dank .... Viele Grüße cookie

  • Dass Werbungskosten das Brutto-Gesamteinkommen nach §16 SGB IV mindern bestätigte auch das BSG



    Ein UHP hat folgende Einflussmöglichkeiten zur Reduzierung seines Bruttoeinkommens im Sinne des §16 SGB IV

    - Werbungskosten

    - Kinderbetreuungskosten

    - Zeitkonten für Arbeitnehmer

    - Gehaltsumwandlung in ein Rentenkonto, Direktversicherung für Arbeitnehmer

    - Teilzeit statt vollzeit zu arbeiten

    - ...


    Keine von dieser Möglichkeiten stellt ultimative Lösung dar, aber ein potentieller UHP sollte sie kennen

  • Teilzeit statt vollzeit zu arbeiten


    Zitat

    Jörn Hauß, FamRB 2020, 76


    Der Sozialhilfeträger kann auch bei Verletzung einer Erwerbsobliegenheit des unterhaltspflichtigen Kindes nicht ein die Jahreseinkommensgrenze übersteigendes Einkommen annehmen. Die Erwerbsobliegenheit besteht allenfalls der unterhaltspflichtigen Person gegenüber, nicht aber gegenüber dem Sozialhilfeträger. Fiktive Einkünfte der unterhaltspflichtigen Person aus Verletzung einer Erwerbsobliegenheit und Nutzungsvorteile z.B. aus einem Wohnvorteil spielen für die Berechnung der Jahreseinkommensgrenze keine Rolle. Gleichwohl können sie – genau wie verwertbares Vermögen – unterhaltsrechtlich aktiviert werden, wenn die Jahreseinkommensgrenze überschritten ist.



  • Es wäre auch zu beachten, dass das Finanzamt schreibt

    https://www.formulare-bfinv.de…B4F82ED9/form/e_daten.pdf

    Zitat

    Zahlreiche Daten über Ihre Besteuerungsgrundlagen (z. B. Bruttoarbeitslöhne ...) liegen der Finanzverwaltung aufgrund entsprechender elektronischer Datenübermittlungen der mitteilungspflichtigen Stellen bereits vor (sog. eDaten)

    ...

    Die der Finanzverwaltung vorliegenden eDaten haben keine Bindungswirkung. Ihnen steht es weiterhin frei, eigene Angaben vorzunehmen (z. B. Änderung des Bruttoarbeitslohns aufgrund der Privatnutzung eines Firmenwagens).

    Das heißt, wenn es in der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung der Bruttolohn steht, muss er im Sinne des Steuerbescheides nicht "richtig" sein. In bestimmten Fällen wie z.B. beim Firmenwagen (nicht bei jedem!) kann das Bruttoeinkommen noch nachträglich reduziert werden und zwar durch die entsprechenden Angaben in der Steuererklärung. Ich vermute, ähnliche Möglichkeiten kann es auch z.B. bei "Firmenfahrrädern", Firmenkleidung geben. Und weitere Beispiele soll es auch geben.

    Die Einzelheiten kann ein Steuerberater sicherlich besser erklären. Ich muss zugeben, dass ich bei solchen Fällen Schwierigkeiten habe zwischen einer Senkung des Einkommens ("Änderung des Bruttoarbeitslohns") und Werbungskosten zu unterscheiden. Aber beides würde das Einkommen nach §16 SGB IV mindern

  • .. auf die aktuelle Düsseldorfer Tabelle 2020 hinweisen in der es vermerkt ist, dass der Selbstbehalt gegenüber den Eltern die aktuelle Rechtslage nicht berücksichtigt.

    ...

    ...

    Die nächste Ausgabe der Düsseldorfer Tabelle ist Ende 2020 zu erwarten.


    Das Warten hat nicht wirklich was gebracht, die Düsseldorfer Tabelle bleibt beim Thema Elternunterhalt nebulös.

    Der Trend geht wohl im Jahr 2021 in Richtung Einzelfallentscheidungen.



    ---


    Aufsatz

    Düsseldorfer Tabelle 2021

    Heinrich Schürmann, FamRB 2021, 33



    Die Düsseldorfer Tabelle hat die feste Einkommensgrenze von 2.000 € durch einen allgemeinen Hinweis auf die durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz veränderte Rechtslage ersetzt.


    Die vom ersten Januar 2020 an geltende Neufassung des § 94 Abs. 1a SGB XII schließt die Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen als Einkommen und den Regress für alle Leistungen nach dem SGB XII aus, sofern das Einkommen 22 des unterhaltspflichtigen Verwandten die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € nicht übersteigt. Hiervon ausgenommen sind lediglich Hilfen zum Lebensunterhalt für minderjährige Kinder. Mit dieser sehr weitreichenden Einschränkung des sozialhilferechtlichen Nachrangs will der Gesetzgeber dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen und bezweckt ausdrücklich eine Entlastung des Familienverbands als Ganzes. Diese grundlegende Umgestaltung des Sozialhilferechts verändert zugleich die unterhaltsrechtlichen Strukturen. Denn das Unterhaltsrecht darf die Zielrichtung des Gesetzes nicht dadurch in ihr Gegenteil verkehren, dass es die Grenzen der familienrechtlichen Einstandspflichten enger zieht, als es im sozialen Leistungsrecht der Fall ist. Dies gilt ebenso für Betroffene mit einem den Grenzbetrag übersteigenden Einkommen. Dem ist durch eine dem Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes entsprechende Bemessung des angemessenen Eigenbedarfs Rechnung zu tragen.


    Auch wenn ein erhebliches Interesse der Sozialverwaltung an festen Einkommensgrenzen für die Heranziehung von Angehörigen mit höheren Einkommen besteht, wäre jede Vorfestlegung seitens der Rechtsprechung verfrüht. Zwar wird in der Literatur ein angemessener Eigenbedarf zwischen 5.000 und 5.500 € diskutiert. Hinter der Festlegung solcher Pauschalen steht aber immer auch ein methodisches Problem: Auf welche Lebenssituation sind diese zugeschnitten und welche Aufwendungen erfordern eine weitere Anpassung? Bei dieser Ausgangslage kann es nicht Aufgabe der Düsseldorfer Tabelle sein, die Entscheidung über nicht einmal im Ansatz diskutierte Struktur- und Rechtsfragen vorwegzunehmen, so dass es mit einem allgemeinen Hinweis auf die Rechtslage sein Bewenden haben musste.


    ... ist daran zu erinnern, dass sich die Düsseldorfer Tabelle in einer Zeit sehr festgefügter familiärer Rahmenbedingungen entwickelt hat und in ihren Grundstrukturen weiterhin daran festhält. Sie ist aber ebenso unverändert nicht mehr als eine Empfehlung, die nur insoweit zu angemessenen Ergebnissen führen kann, als die tatsächlichen Lebensverhältnisse den bei der Bemessung pauschaler Vorgaben vorausgesetzten Umständen entsprechen. Die sachbezogene Beurteilung im Einzelfall kann sie nicht ersetzen.


    ...

    Manche der eigentlich für 2020 anstehenden Diskussionen zur Entwicklung der Düsseldorfer Tabelle sind den durch die COVID-19 Pandemie erzwungenen Erschwernissen zum Opfer gefallen.

    ...

    Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl ist nicht mehr damit zu rechnen, dass die schon lange angemahnten und auch im BMJV als notwendig erachteten Änderungen im Familienrecht einschließlich des Unterhaltsrechts noch in die Agenda des Gesetzgebers aufgenommen werden.

    ...

  • Hallo Meg,


    keine Ahnung wer und was Heinrich Schürmann ist und welchen Einfluss er haben sollte.


    Der Aufsatz fängt aber schon mir einer, für mich falschen Formulierung an.

    Es ging nicht um eine feste Einkommensgrenze, sondern um einen garantierten Selbstbehalt von 2.000€.

    Da ich selber von einer solchen alten Regelung betroffen war, kann ich hier nur feststellen, das diese Selbstbehalte schon durch viele OLG durch die 45/50% Regelung erweitert wurde.

    Es gab also auch schon früher die Einzelfallentscheidung, die Gerichte haben sich dabei halt an der DT orientiert.

    Es lag an den Betroffenen selbst, ihre Sicht der Dinge darzulegen und die Berechnungen der SHT anzugreifen.

    Nun wird der "angemessene Eigenbedarf" als Formulierung in den Ring geworfen.

    Für mich nur eine weitere Umschreibung der "Lebensstandartsicherung", die bisher sehr schwammig und natürlich nur sehr wenig von den Ämtern und dann den Gerichten berücksichtigt wurde, denn ein Leben in Luxus war davon ausgeschlossen.



    Gruß


    frase

  • Nun wird der "angemessene Eigenbedarf" als Formulierung in den Ring geworfen.

    Für mich nur eine weitere Umschreibung der "Lebensstandartsicherung", die bisher sehr schwammig und natürlich nur sehr wenig von den Ämtern und dann den Gerichten berücksichtigt wurde, denn ein Leben in Luxus war davon ausgeschlossen.

    dieser eingestellter Beitrag von Meg zeigt nur eins auf, die Anwälte schwimmen,

    und drücken mit solchen Beträgen nur ihre "Hilflosigkeit" aus