Angehörigen-Entlastungsgesetz, "100.000 Euro"-Grenze, Entwurf: die Angehörigen der Grundsicherung-Empfänger werden schlechter gestellt?

  • Genau, so wie die UHP die jetzt unter der Grenze liegen.

    die Befürworter der Anhebung des Selbstbehalts auf 5.000 € gehen offensichtlich von einer Ungleichheit aus, weil sie der Auffassung sind, es dürfte zwischen einem Kind mit Einkommen von 99.000 € p.a. und bei einem Kind mit 101.000 € keinen Unterschied geben,

    diese Differenzierung halten sie somit für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung


    ob diese Ansicht haltbar ist und vor Gericht standhalten würde,

    aus meiner Sicht liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor


    Begründung:


    zuerst ist die Frage zu beantworten, darf der Gesetzgeber Differenzierung vornehmen?

    ja


    "Art. 3 I GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. "


    Die eine Gruppe sind Kinder, die über der Grenze liegen = Unterhaltspflichtige

    Die andere Grupp sind Kinder, die unter der Grenze liegen = keine Unterhaltspflichtige


    > dürfen beide Gruppen (Normadressaten) unterschiedlich behandelt werden?

    ja

    den Zweck des Gesetzes hat der Gesetzgeber, also die Entlastung der Kinder unter 100.000 €, eindeutig benannt

    wenn dieses Ziel verfassungsmäßig ist, für mich ist es so,

    dann kann ein Kind mit Einkommen über 100.000 € nicht das gleiche Recht fordern

  • Fall1

    Elternteil hat ein Kind mit Einkommen unter 100.000 €, ist somit nicht unterhaltspflichtig und auch nicht auskunftpflichtig

    Fall 2

    Elternteil hat mehrere Kinder, davon eins über der Grenze, die anderen Kinder liegen unter der Grenze, sind somit auch nicht auskunftspflichtig


    Folge: das Kind aus Fall1 und die nicht auskunftspflichtigen Kinder aus Fall 2 gehören somit zur gleichen Gruppe der "nicht Auskunftspflichtigen", mit der Folge, sie sind bezüglich Auskunft gleich zu behandeln


    das Sozialamt steht aber auf dem Standpunkt, die Kinder aus Fall2 haben Auskunft zu geben, damit die Geschwisterquote berechnet werden kann


    ist dieses Argument so gewichtig, das es den Grundsatz der Gleichheit aushebeln kann?


    die Antwort liegt auf der Hand, ein klares Nein,

    denn der Gesetzgeber hat mit Abs.1a des § 94 SGB XII eine eindeutige gesetzliche Regelung geschaffen, die keine Ausnahme zulässt

  • Hallo Unikat,


    beim Auskunftsanspruch mit dem Grundgesetz zu argumentieren ist schon arg lustig. Aber gut:


    Die 2 Fälle sind eben leider überhaupt nicht gleich, Du vergleichst Äpfel mit Birnen!


    § 117 XII SGB wurde eingeführt um den Nachrang der Sozialhilfe wiederherzustellen zu können. So gut wie alle Versuche ihn per Klage ausser Kraft zu sind gescheitert. Die Urteile sind Dir bekannt.


    Im Fall2 geht eben genau darum, daß der Sozialhilfeträger den Anspruch gegen das eine Kind durchsetzen will und dazu den Auskunftsanspruch braucht. Das ist eine komplett andere Situation als in Fall1.


    Aber: Vielleicht gewinnt ja mal ein Kind (unter der Grenze) oder eher ein Ehepartner von ihr/ihm den Prozess gegen den Sozialhilfeträger, weil sie/er keine Auskunft geben möchte. Kann ja sein, daß ein Gericht die Persönlichkeitsrechte des Ehepartners eines Kindes, gegenüber welche keine Ansprüche seitens des Sozialhilfeträgers bestehen, höher einschätzt als das (zur Herstellung des Nachranges) nötige Auskunftsbegehren des Sozialhilfeträgers. Dann hätte der Sozialhilfeträger das Nachsehen. Die Urteile in ähnlichen Fällen deuten aber überhaupt nicht darauf hin. Daher sind die echten Experten ja auch einhellig der Meinung, es besteht in diesem Falle ein Auskunftsanspruch nach § 117 XII SGB.


    Es würde mich sehr freuen, wenn der Auskunftsanspruch gegen die Kinder unter der Grenze nicht möglich wäre nach § 117 XII SGB. Dann wäre der Elternunterhalt erstmal tot (bis der Gesetzgeber eingreift)


    Viele Grüße,

    mustermann

  • Hallo frase und Unikat,


    habt ihr Euch schon ausgedacht, wie ihr das Kind über der Grenze dazu bringt, seine armen Geschwister zu verklagen? Bin sehr gespannt...


    Viele Grüße,

    mustermann

  • Wäre es nicht besser die Geschwisterquote und die damit verbundene Auskunft in einem Separaten Thread zu behandeln.. eigentlich gibt es schon mehrere solche

  • Hallo frase,


    danke für den link! Hast Du ihn gelesen? Da steht ganz genau das drin, was ich oben schrieb:


    Der Sozialhilfeträger kann das reiche Kind nicht zwingen, Auskunft bei den Geschwistern einzuholen. Wenn der Sozialhilfeträger die Forderung nicht schlüssig darlegt, kann man sich zurücklehnen und Tee trinken:


    "

    Dies gilt nach Ansicht des BGH aber nicht für den Kläger unmittelbar gegenüber seiner Schwägerin. Er kann sich gegen die Inanspruchnahme des Trägers der Sozialhilfe aus dem gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 BSHG übergegangenen Unterhaltsanspruch wie folgt wehren: Er kann das Unterhaltsbegehren aus übergangenem Recht so lange zurückweisen, bis das Sozialamt ihm gegenüber den Anspruch schlüssig dargelegt hat. Dazu gehört auch die Darlegung der Haftungsanteile der übrigen Geschwister. Diese hängen wiederum von den Einkommensverhältnissen der jeweiligen Ehegatten ab. Dazu gehört auch eine plausible Erläuterung dafür, dass die Geschwister nicht leistungsfähig sind und deshalb nur er auf den Elternunterhalt haftet.
    [Blockierte Grafik: https://www.iww.de/imgserver/iww/archiv/px.gif]

    Auch in einem Rechtsstreit wäre er kein Kostenrisiko eingegangen. Mit der Erläuterung der Einkommensverhältnisse der Schwägerin im Laufe eines Rechtsstreits wäre die Klage schlüssig geworden. Der Kläger hätte sodann den Unterhalt sofort nach § 93 ZPO anerkennen können mit der Folge, dass dem Träger der Sozialhilfe die Kosten aufzuerlegen wären.

    "


    Schönen Abend,

    mustermann



  • Wie man agiert und entschlossen gegen "harte willkürliche Grenzen" vorgeht, sieht man aktuell an einem Beispiel aus dem ganz anderen Sachgebiet.



    ntv, 17.04.2020

    "Die Essener Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof hat Klage gegen die Sonderregeln des Landes Nordrhein-Westfalen in der Corona-Krise eingereicht.

    ...

    Bund und Länder hatten sich unter der Woche geeinigt, die ersten Corona-Maßnahmen zu lockern. Nach vier Wochen Ladenschluss dürfen ab Montag kleine und mittelgroße Geschäfte wieder öffnen, wenn sie bestimmte Hygieneauflagen erfüllen.

    Große Warenhäuser wie Karstadt oder Kaufhof mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern bleiben dagegen weiter geschlossen.

    Mit dieser Regelung soll gewährleistet werden, dass nicht alle Läden auf einmal aufmachen und die Innenstädte dadurch wieder zu voll werden.

    Gerade Einzelhandelsverbände halten diese "rote Linie" aber für Willkür. Auch deshalb, weil Nordrhein-Westfalen einen Sonderweg eingeschlagen... "



    Ob man diese oder jene "Klage gegen Willkür" gewinnt oder nicht, kann man praktisch nie vorhersehen, trotzdem halte ich das Beispiel für bemerkenswert.

  • Ob man diese oder jene "Klage gegen Willkür" gewinnt oder nicht, kann man praktisch nie vorhersehen, trotzdem halte ich das Beispiel für bemerkenswert.

    ach Meg,


    gegen eine Allgemeinverfügung kann jeder klagen,


    aber gegen ein Gesetz nicht, außer du hälst die Einfügung des Absatzes 1a in § 94 SGB XII für verfassungswidrig


    hälst du das Angehörigen-Enlastungsgesetz für verfassungswidrig?


    Verfassungswidrig wäre u.U. auch die Auslegung des Gesetzes durch ein Sozialamt oder ein Gericht,

    dann gilt folgendes

    aus Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Elternunterhalt:


    "Setzt sich die Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu allen zur Anwendung gebrachten Normen und werden damit Ansprüche begründet, die keinerlei Grundlage im geltenden Recht finden, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen sind. Die Gerichte begeben sich damit aus der Rolle des Normanwenders in die einer Norm setzenden Instanz, entziehen sich also der Bindung an Recht und Gesetz im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG"


  • weitere wichtige Punkte aus der "Anleitung der GKV über Gesamteinkommen" dürften sein

    ...

    dass beim Arbeitnehmer seine Werbungskosten das Brutto-Einkommen mindern ist eindeutig, wurde schon oft gesagt;

    ...



    Ein weiterer Abzugsposten vom Brutto-Einkommen bei der Definition der 100.000 Euro Grenze können evtl. noch Kinderbetreuungskosten (Anlage Kind der Steuererklärung) sein.


    https://esth.bundesfinanzminis…ge/Anhang-19a/inhalt.html

    Zitat

    Kinderbetreuungskosten sind ab Veranlagungszeitraum 2012 einheitlich als Sonderausgaben abziehbar. Der Abzug wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten ist ab diesem Zeitraum entfallen. Soweit es sich um Kinderbetreuungskosten handelt, die unter den Voraussetzungen der bis einschließlich 2011 geltenden gesetzlichen Regelung des § 9c EStG wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden konnten, kann die Neuregelung Auswirkungen haben, soweit außersteuerliche Rechtsnormen an steuerliche Einkommensbegriffe anknüpfen, wie z. B. § 14 Absatz 1 Wohngeldgesetz. Diese Auswirkungen werden durch den mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 eingefügten § 2 Absatz 5a Satz 2 EStG vermieden: Knüpfen außersteuerliche Rechtsnormen an die Begriffe „Einkünfte“, „Summe der Einkünfte“ oder „Gesamtbetrag der Einkünfte“ an, mindern sich für deren Zwecke diese Größen um die nach § 10 Absatz 1 Nummer 5 EStG abziehbaren Kinderbetreuungskosten. Auch bei Anwendung dieser Regelung wird nicht danach unterschieden, ob die Kinderbetreuungskosten erwerbsbedingt oder nicht erwerbsbedingt angefallen sind.

  • Guter Hinweis,:thumbup:


    denn diese "Kinderbetreeungskosten" werden erst nach der Gesamtheit der Einkunfte als ungekürzte Sonderausgaben im Bescheid ausgewiesen.

    Hier gleich noch ein Tip, wenn jemand an der Grenze liegt, dann sollte der auch alle Kinderbetreuungskosten zahlen und nachweisen.

    Denn es geht ja um das bereinigte Brutte des möglichen UHP.


    VG frase




  • Stiftung Warentest schrieb dazu mit Verweis auf einen Elternunterhaltsrechner

    Zitat

    Gudrun Doering-Striening, Fach­anwältin für Sozial- und Familien­recht aus Essen, hat Zweifel, ob das neue Recht mit dem Gebot aus Artikel 3 Grund­gesetz, wesentlich gleiche Fälle gleich zu behandeln, zu vereinbaren ist. Die Unter­halts­expertin ist für die Abschaffung des Eltern­unter­halts. Der ehemalige Familien­richter Wolf­ram Viefhues fordert in seiner Kommentierung des Unter­halts­rechts eine Anpassung des gerade erst auf 2000 Euro angestiegenen Mindest­selbst­behalts: „Denn der Zweck des Gesetzes [Angehörigen-Entlastungs­gesetz], Familien wirk­sam zu entlasten und den Familien­frieden zun wahren, darf nicht dadurch in sein Gegen­teil verkehrt werden, dass bei einem nur gering­fügigen höheren Einkommen ein geringerer Betrag für die eigene Lebens­führung verbleibt, als einem Pflichtigen mit geringerem Einkommen zugestanden wird.“ Es bleibt abzu­warten, welchen Selbst­behalt die Gerichte künftig bei Gutverdienern ansetzen.


    Auf der Internetseite der juristischen Fach­zeit­schrift „Familien­rechts­berater“ finden Sie einen Elternunterhaltsrechner (Download des Excel-Rechners beginnt sofort nach Klick auf Link). Nutzer des Rechners können darin einen Mindest­selbst­behalt von 2 000 Euro (für Ledige) einstellen (damit werden die Sozial­ämter sehr wahr­scheinlich rechnen) oder aber mit einem Mindest­selbst­behalt in Höhe von 5 000 Euro (den die Kritiker des Angehörigen-Entlastungs­gesetzes favorisieren). Freilich werden viele Sozial­ämter unter­halts­pflichtigen Kindern mit einem Jahres­einkommen von über 100 000 Euro einen Selbst­behalt von 5 000 Euro nicht ohne gericht­liche Auseinander­setzung zugestehen.

  • Meg, ich hab mich ja aus dieser Diskussion weitestgehend raus gehalten, einfach weil ich Probleme dieser starren Grenze habe, aus einer Reihe von Überlegungen heraus, konnte den allgemeinen Jubel hier auch nicht nachvollziehen.


    Es wäre m.E. viel sinnvoller gewesen, die Bereinigungsfaktoren neu zu bestimmen, zu erweitern, den Selbstbehalt anzuheben auf ein Recht, den bisherigen Lebensstandart zu halten. Jetzt haben wir das Problem, dass die Gerichte wieder zurechtruckeln müssen, was da versaubeutelt worden ist.


    Herzlichst


    TK

  • Hallo in die Runde,


    die Grenze ist politisch an die Sozialhilfegrenze der GS gebunden worden.

    Zweifelsfrei ist das Gesetz für die "Besserverdiener" ein Schlag ins Gesicht.


    Bei solchen Einkommen haben Eltern eher selten den Sozialhilfebedarf.

    Der Kreis der Bettroffenen wird sich also statistisch wenig auffällig verhalten.
    Wer in dieser Liga spielt, wehrt sich oder zahlt eben.


    timekeeper : Ich finde deine Vorschläge hier wenig zielführend.

    Die Lebensstandswahrung ist einer der größten Diskussionspunkte gewesen und hat die Gerichte auch schon lange beschäftigt.
    Das Risiko hier als UHP zu scheitern, hat aber viele UHP "Gutverdiener" abgeschreckt gegen das Amt zu klagen.

    Hier hatten Leute aus der Sandwitch-Generation sich aus eigener Kraft etwas aufgebaut, was nun angegriffen wurde.

    Für mich ist das Thema auch noch nicht beendet.


    Warten wir die nächsten Gerichtsentscheidungen dazu ab.


    Gruß


    frase

  • konnte den allgemeinen Jubel hier auch nicht nachvollziehen

    Wenn einem was schmerzt, möchte man dass der Schmerz aufhört. Also, wenn ein/e UHP im Jahr 2019 Elternunterhalt zahlte und unter 100T verdiente, wollte er/sie dass die Gesetze sich ab dem 1.1.2020 ändern und die Zahlungen aufhören.



    die Gerichte wieder zurechtruckeln müssen, was da versaubeutelt worden ist


    :(


    Die Bereinigungsfaktoren neu zu bestimmen - ja, sehe ich auch so. Sie zu erweitern - nicht unbedingt, kommt auf die Höhe des Selbstbehaltes an.


    Grüße,

    m