Kindesunterhalt (Unterhaltsvorschusskasse)

  • Hallo Zusammen,


    folgender fiktiver Fall von Kindseltern, welche nie verheiratet waren:

    Kindsmutter erhält seit Geburt 2010 monatlichen Unterhalt für das Kind, welcher per Dauerauftrag gezahlt wird. Ab dem Jahr 2018 kommen sämtliche Unterhaltszahlungen wieder zurück und werden beim Kindsvater gutgeschrieben. Die Kindsmutter hat vermutlich das Konto aufgelöst, ist weggezogen oder sonstige Gründe. Kindsmutter und Kindsvater haben seit Geburt 2010 absolut keinen Kontakt, keine Handynummern und wissen nicht einmal, wer wo wohnt. Seit 2018 kann der Kindsvater demnach keinen Unterhalt leisten, da keine Informationen.


    Da der Unterhalt seit 2018 nicht mehr bezahlt wird, keine Aufforderung beim Kindsvater einging und die Unterhaltsvorschusskasse sich auch nicht mit diversen Ansprüchen meldet: Kann hier noch etwas passieren? Der Kindsvater geht davon aus, dass sich das Thema erledigt hat und nichts mehr zu zahlen ist, bis sich jemand meldet. Demnach wohl auch keine Nachforderungsansprüche, weil er nie in Verzug gesetzt wurde?

    Auf das Thema Umgang Kindsvater/Kind ist nicht einzugehen.


    Vielen Dank für Eure Meinungen!

  • Ich stimme deiner Auffassung zu. Unterhalt für die Vergangenheit kann nur unter den Voraussetzungen des § 1613 BGB gefordert werden.


    Sofern du ordnungsbehördlich an deiner Anschrift gemeldet bist, kein Unterhaltstitel besteht und du keine Post zum Unterhalt bekommst, ist nichts zu befürchten.


    Etwas verwunderlich und äußerst selten erscheint das aber trotzdem.

  • Abwandlung. Nehmen wir an, es gäbe den Unterhaltstitel (das ist mir gerade nicht bekannt):

    Was würde sich ändern? Es bleibt ja dabei, dass keiner (weder KM noch Unterhaltsvorschusskasse) Ansprüche geltend macht?

  • Titulierte Forderungen könnten ggf. weiter bestehen, soweit diese nicht verwirkt oder nach der Volljährigkeit irgendwann verjährt sind.

  • Ich habe mich nun parallel selbst ein wenig eingelesen. Ich komme zu dem Ergebnis, dass hier eine Verwirkung vorliegt. Es spielt keine Rolle, ob tituliert oder nicht.

    Unterhaltsansprüche können seitens KM und/oder Unterhaltsvorschusskasse für maximal 1 Jahr gestellt werden.


    Liege ich richtig?

  • Nein, das ist eine veraltete und immer noch sehr weit verbreitete Auffassung, die der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31.01.2018 - Aktenzeichen XII ZB 133/17 bezogen auf den Kindesunterhalt (erneut) klargestellt hat. Für eine Verwirkung müssen das Umstands- und das Zeitmoment erfüllt sein. Das Zeitmoment kann zwar regelmäßig nach einem Jahr überschlägig bejaht werden. Das Umstandsmoment kann sich jedoch nicht aus dem bloßen Zeitablauf ergeben.


    Darüber wäre im Zweifel also zu streiten. Vor einer nicht titulierten Forderung für die Vergangenheit hätte ich deshalb keine Angst. Um eine titulierte Forderung hätte man sich aber besser bereits 2018 kümmern sollen. Diese ist nämlich - selbst wenn eine Verwirkung diskutierbar wäre - locker mittlerweile fünfstellig und sofort vollstreckbar.

  • hm, da kann doch der Unterhaltsschuldner nichts dafür, wenn sich die KM (Gläubigerin) nicht meldet?


    Das geht gerade nicht in meinem Kopf, wie da eine nachträgliche Forderung geltend gemacht werden sollte....? Dazu kommt, wie Sie schon erwähnt haben, dass die Summe inzwischen ziemlich hoch sein könnte. Wichtig hierbei, wir müssen das aus Sicht des Schuldner betrachten.

  • und nebenbei ist das Umstandsmoment ja erfüllt.....?!

    "Das Umstandsmoment liegt vor, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde."


    Und das ist doch genau der Fall, weil sich die Gläubigerin nicht meldet?

  • Hi,


    volle Zustimmung, TR. Wir haben es hier mit den allg. Verwirkungsregeln zu tun. Es gibt keine Sonderregelungen, die generell gelten. Hätte der Gesetzgeber das gewollt, so gäbe es eine entsprechende Regelung im Familienrecht. Die beiden von TR genannten Momente sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die auszufüllen sind. Und das erfolgt anhand des Einzelfalles.


    Was bedeutet das für unseren Fall? Wenn denn ein Titel da ist, sollte man dafür sorgen, dass dieser aus der Welt kommt. Im Vorfeld muss man nachweisen, dass man sich um die Adresse des Kindes bemüht hat. Für mich wäre der Einstieg eine EMA Anfrage bei der letzten Adresse des Kindes. Und dann sieht man weiter.


    TK

  • Ich teile deine Auffassung nicht, Vinzo. Bei bestehendem Titel und 4 Jahre nicht durch geführter Zwangsvollstreckung oder Kontaktaufnahme durch den Gläubiger sowie aber gleichzeitig unterlassener Prüfung durch den Schuldner, würde ich persönlich das Umstandsmoment klar verneinen.


    Der BGH hat diese Frage im Leitsatz auch beantwortet: "Das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung kann das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen" ...weitere Details ergeben sich aus der öffentlichen Urteilsbegründung.


    Da müsste man als Schuldner schon deutlich mehr vorbringen. Zum Beispiel eine Verzichtserklärung des Gläubigers oder eine vom Titel abweichende Vereinbarung. Besteht dagegen ein nicht bezahlter Titel und einfach kein Kontakt zum Gläubiger, muss man sogar täglich mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen rechnen. Schließlich ist man sich über die offene Unterhaltsforderung des minderjährigen Kindes völlig im Klaren. Dass die Gläubigerin dies bisher nicht gemacht hat, ist kein Grund zu glauben, dass sie dies nie mehr machen würde. Auch z.B. unter dem Hintergrund, dass die Verjährungsfrist für laufenden Minderjährigenunterhalt bis zum 18. Geburtstag gehemmt ist.


    Hat man also als Schuldner im strittigen Zeitraum selbst überhaupt nichts unternommen, sehe ich wenig Chancen für eine Verwirkung. Anders dagegen, wenn die von TI vorgeschlagene Adressermittlung vielleicht mehrfach erfolglos war, Schriftverkehr nicht beantwortet wurde oder irgendein objektiv nachvollziehbarer Grund vorliegt.

  • Vinzo, du liegst da etwas falsch. Ich habe das Gefühl, du hast das System nicht so ganz verstanden. Über die zwei Komponenten, die ausgefüllt werden müssen, hatten TR und meine Wenigkeit ja schon geschrieben. Du willst hier den unbestimmten Rechtsbegriff einfach mit "Schweigen" bzw. fehlender Info ausfüllen. Und das reicht nun wirklich nicht. Schweigen allein hat in unserem Rechtssystem nur in sehr wenigen Fällen eine rechtsgestaltende Wirkung. Das muss man einfach wissen. Und Annahmeverzug des Gläubigers reicht dafür einfach nicht aus. Ich hatte auf den Einstieg in diese Problematik hingewiesen. Wie man dann weiter vorgeht, entscheidet man, wenn die Auskunft vorliegt.


    Für den Fall des Annahmeverzug des Gläubigers bietet das Gesetz auch eine andere Option an: die Hinterlegung. Auch daran erkennt man, dass Schweigen allein eben nicht ausreicht, um einen titulierten Anspruch zum kippen zu bringen. Und da kommen wir zum Unterschied zwischen einem titulierten Anspruch und einem nicht tituliertem. Ein titulierter Anspruch kann jederzeit und immer vollstreckt werden, und der Gerichtsvollzieher überprüft auch Sachen wie mögliche Verwirkung nicht. Erst einmal ist ohne Mahnung ohne sonst was dein Konto dicht, möglicherweise wird auch der Arbeitgeber als Drittschuldner in Anspruch genommen, dann wird von da aus an dich nur der Pfändungsfreibetrag ausgezahlt. Da ist also eine tickende Zeitbombe in der Welt.


    Deshalb ist die Behauptung, es gäbe keinen Unterschied zwischen titulierter Forderung und nicht titulierter Forderung absoluter Blödsinn.


    Warum wehrst du dich so gegen eine sichere Lösung des Problems?


    TK

  • Eine "sichere Lösung" wird es hier nicht geben.

    Wie hier der Unterhaltstitel "aus der Welt geschafft werden könnte", ist nicht erkennbar.

    Die familienrechtliche Hemmung der Verjährung endet mit der Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes.


    Da der Vater bis 2018 Unterhalt zahlte, würde ich noch nicht einmal so weit kommen, dass er sich hinsichtlich des Unterhaltes seit 2018 nicht in Verzug befinden könnte, wenn es keinen Titel geben würde.


    Ich sehe hier nur die Möglichkeit, den Unterhalt zurück zu legen.

    Die Höhe des geschuldeten Betrages ergibt sich aus dem Titel, sofern dieser dynamisch ist, muss man den jeweils geschuldeten Betrag eben entsprechend ausrechnen.

  • Ein Unterhaltstitel lässt sich auch gesichert aus der Welt schaffen, wenn der Gläubiger nicht reagiert. Gerichtlicher Abänderungsantrag auf 0 und Versäumnisbeschluss. Dazu sollte man aber wenigstens mal eine Melderegisterabfrage vorgenommen und eine außergerichtliche Klärung versucht haben.

  • Hi,


    darauf hatte ich ja schon hingewiesen. Da das Verfahren aber auch eine öffentliche Zustellung benötigt und die Bewilligung derselben doch eine sehr professionelle Handhabung voraussetzt, sollte man einen Anwalt einschalten. Mir geistert in so Fällen auch eine sehr traurige Erklärung durch den Kopf. Das Kind ist verstorben.


    TK

  • Man müsste in einem solchen Verfahren allerdings darlegen, dass das 12-jährige Kind keine Unterhaltsansprüche mehr hat / nicht mehr bedürftig ist.

    Wie das begründet werden soll, kann ich nicht erkennen.

  • Hi,


    das ist doch erst die zweite Stufe, Trotha. Die erste ist, dass man zunächst einmal feststellen muss, was mit dem Kind los ist, ob es überhaupt noch lebt. Und ob für das Kind, wenn es denn noch lebt, keine Unterhaltsansprüche mehr geltend gemacht werden. Es geht doch nicht mal im Ansatz darum, dass der Vater sich vor irgend etwas drücken will. Wenn kein Titel in der Welt wäre, dann würde ich auch sagen, man solle das Geld zurück legen und abwarten, was passiert. Hier kann man aber jederzeit ohne Vorankündigung Bank- und Gehaltskonto dicht machen. Und dem kann man vorbeugen.


    TK

  • Man müsste in einem solchen Verfahren allerdings darlegen, dass das 12-jährige Kind keine Unterhaltsansprüche mehr hat / nicht mehr bedürftig ist.

    Wie das begründet werden soll, kann ich nicht erkennen.

    Grundsätzlich hast du schon Recht. Ein solcher Antrag muss natürlich begründet und zulässig sein. Aber wenn man sich geschickt anstellt, sehe ich auch keine unüberwindbare Hürde. Die Behauptung, dass der Gläubiger z.B. ordnungsbehördlich nach unbekannt abgemeldet ist und keine anderen Kontaktmöglichkeiten mehr bestehen, lässt sich problemlos darlegen. Genauso könnte man behaupten, dass man dadurch nicht wisse, ob der Gläubiger überhaupt noch lebe. Auch fehle es an der Darlegung der Einkommenslosigkeit oder dem Nachweis der schulischen Ausbildung. Ein bisschen außergerichtliche Vorarbeit und schon hat man alles zusammen. Und dann gilt im Zivilverfahren das Prinzip der Parteiherrschaft. Das Gericht hätte selbst bei inhaltlichen Zweifeln einen entsprechenden Beschluss zu erlassen, wenn der Gläubiger nicht reagiert.


    Funktioniert das nicht, könnte man auch eine negative Feststellungsklage betreiben.


    Das ist natürlich alles sehr rechtstheoretisch. Tatsächlich würde mich als Vater wahrscheinlich viel mehr interessieren, wie es meinem Kind geht, wo es lebt, zur Schule geht und wie ich diesem eine finanzielle Unterstützung für die Zukunft wieder zukommen lassen kann.

  • Da das Kind erst 12 Jahre und folglich schulpflichtig ist, sehe ich erhebliche Darlegungshürden, dass dieses nicht mehr bedürftig sein könnte.

    Da sollte der Vater zunächst erst mal ordentlich Vorarbeit leisten, bevor er schlafende Hunde weckt, was er mit einem Abänderungsantrag unvermeidlich tun würde.

  • Es ist aber weder feststehend, dass das Kind noch in Deutschland - oder grundsätzlich - lebt, noch, ob es im Falle eines Wohnsitzes in der BRD seine Schulpflicht auch erfüllt. Das muss insbesondere bei ordnungsbehördlicher Abmeldung anzuzweifeln sein und für einen entsprechend nachvollziehbaren Vortrag ausreichen. Soweit die Behauptung nicht bestritten wird, gilt sie als wahr und ist bei Nichtreaktion vom Gericht zu beschließen. Das Risiko des über einem schwebenden Damoklesschwertes in Form der jederzeit möglichen Zwangsvollstreckung über eine immer weiter ansteigende fünfstellige Summe wäre für mich persönlich jedenfalls größer, als den schlafenden Hund in Form des Unterhaltsgläubigers vollständig einzuschläfern oder ihn ersatzweise zu wecken und den Sachverhalt zu klären. Ich hätte da ein gewisses Sicherheitsbedürfnis. Aber den Unterhaltspflichtigen hier interessiert es ja auch schon 4 Jahre nicht und natürlich kann man durch Nichtstun auch finanziell gut wegkommen. Mindestens noch 9 bis 10 Jahre wird man aber in rechtlicher Ungewissheit leben.

  • TR, genau in die Richtung dachte ich ja auch. Es ist so unüblich, dass jemand genau in der Zeit die Unterhaltstaue kappt, in denen Kinder anfangen, so richtig zu kosten. Da ist - was auch immer - passiert. Und das ist vorrangig zu klären, eben wegen des Titels. Und, bis man alles wieder losgeeist hat, wenn erst einmal eine Pfändung erfolgt und alles lahmgelegt ist, das dauert.


    TK