Mit Kindeswunsch im Blick & Schuldzuweisungen kompetent umgehen

  • Zu unserer Situation:


    Mein Partner und ich haben uns getrennt, als unser 1. Kind 4 Jahre (gemeinsames Sorgerecht) und das 2. Kind 5 Monate (Trisomie 21, alleiniges Sorgerecht Corona bedingt) alt war. Wir verzichten gegenseitig auf Unterhaltsansprüche. Unser 1. Kind ist mittlerweile fast 8,5 Jahre alt und 2. Kind fast 4,5 Jahre alt.


    Vor der Trennung war ich die Hauptbezugsperson für mein 1. Kind. Ich bin vor 4 Jahren (zum 01. Okt. 2020) ausgezogen und Kind 1 blieb und ist weiterhin bei Papa gemeldet (= Aufenthaltsbestimmungsrecht). Kind 2 ist bei mir gemeldet. Da ich eine Wohnung mit Kind 2 in der Nähe von Papa bezogen hatte, war für uns das Wechselmodell erstmal relevant. Bei Papa zog nach unserer Trennung (ca. 2 Monate nachdem ich auszog), die neue Lebensgefährtin (mittlerweile verheiratet), auch mit 2 Kindern von 4 & 8 Jahre, ein.


    Kind 1 war das dann nach etwas über 1 Jahr alles zu viel mit dem Hin und Her des Wechselmodells (in dieser Zeit habe ich auch einen neuen Partner kennengelernt und bin nochmal 15 km weiter weggezogen und wurde mit dem 3. Kind schwanger. Für Kind 1 waren es zu viel Veränderungen. In dieser Zeit haben wir 3 Eltern per Telefon & Whats App sehr gut zusammengearbeitet und die Stiefmama (mittlerweile seit 2,5 Jahren die Hauptbezugsperson von Kind 1) hat Ihr ganzes Herzblut in Kind 1 gesteckt. Was ich auch sehr wertschätze.


    Dann haben wir gemeinsam beschlossen (ich sehr schweren Herzens), da die ältere Stiefschwester Kind 1 gut auffangen konnte (Kind 1 orientiert sich sehr an die 12jährige Stiefschwester) und es eine enge Struktur bei Stiefmama/Papa gab und gibt (u.a. kommt Kind 1 bei Papa/Stiefmama mehr zur Ruhe), das Kind 1 bei Papa/Stiefmama wohnt. (-> Und: Papa wollte Kind 1 unbedingt bei sich haben, ich hätte sonst vor Gericht gehen müssen, deswegen habe ich „losgelassen“, da mir einfach das Kindeswohl am wichtigsten ist und zu dieser Zeit es für Kind 1 das bessere Umgangsmodell war- und für uns Eltern).


    Seit 2,5 Jahren kommt Kind 1 alle 14 Tage WE von Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag & zeitweise in den Ferien/Feiertage (war bisher immer individuell) zu uns. Kind 2 (Trisomie 21), wohnt zu 100% bei uns, da der Papa bisher kein Umgangsrecht wahrnehmen möchte (vermutlich aus zeitlichen Gründen). Ende letzten Jahres war Kind 2 nochmals Thema und die Stiefmama sagte zu mir, da Sie eine Firma zu diesem Zeitpunkt gegründet hat, wäre es schön, wenn ich noch etwas Geduld haben könnte, bevor sie zusätzlich für Kind 2 Zeit hat (Residenzmodell).


    Im Grunde genommen haben wir alle den Fokus auf das Kindeswohl. Doch leider hat sich im Laufe der Zeit eine ungünstige Eigendynamik entwickelt.

    Leider ist das Konfliktpotenzial (natürlich nicht vor dem Kind) seitens der Stiefmama (+ Kindsvater) mir gegenüber stark gestiegen, da sie sich haupts. um Kind 1 kümmert und es immer wieder Dinge gibt, über die sich die Stiefmama ärgert.


    Wenn Kind 1 von uns kommt, ist sie teilweise Verhaltensauffällig, z.B. macht die ersten Tage emotional dicht, ist ganz durcheinander, aufgedreht, keine Konzentrationsfähigkeit, frech, lügt vermehrt, aggressiv und bettnässt teilweise hin & wieder ein, v.a. bei mir (wurde Urologisch schon abgeklärt, ist psychisch, deswegen auch in psychologischer Behandlung, noch dazugekommen ist der Verdacht auf AD(H)S). Die Stiefmama bekommt Kind 1 teilweise dann nur schwer „runter“ wenn Kind 1 von mir kommt (im schlimmsten Fall dauerte es wohl mal über 1 Woche). Es war eigentlich schon immer so, wenn sie von mir kam (v.a. aufgedreht). Ich kann auch gut verstehen, dass die Stiefmama dann sehr verzweifelt ist und teilweise geweint hat und nicht mehr konnte. Sie hat so viel liebevolle Erziehungsarbeit in Kind 1 gesteckt und sie sagt, sie kann jedes Mal wieder von 0 anfangen. Sobald Kind 1 bei mir war, sind alle Erziehungsmaßnahmen im Eimer. Jetzt hat sie die „Schnauze voll“. Das macht mich sehr traurig, da das keine gute Basis für Kind 1 ist.


    Die Stiefmama kümmert sich um viele Angelegenheiten: z.B. Schule, Arztbesuche, Ergotherapie, Schlaflabor (Ergo und Schlaflabor hätte ich gerne gemacht, wurde aber leider verneint, ich soll mich um Kind 2 kümmern und SM + KV kümmern sich um Kind 1, sonst ist das zu viel hin und her/Unruhe für Kind 1).


    Dann kommt noch zu dieser Herausforderung hinzu, dass Kind 1 mir gegenüber seit letztem Jahr immer wieder geäußert hat, dass es bei mir wohnen möchte bzw. mehr Mama möchte, z.B. Wechselmodell. Habe dann KV vorgeschlagen, dass ich Kind 1 bei den Besuchswochenenden montags früh zur Schule bringen kann. Daraufhin wurde ich verbal vom Kindsvater angegriffen. Es gab Schuldzuweisungen und Vorwürfe gegen mich und dass ich dem Kind immer nur schade (leider hat Kind 1 dieses schon länger unterschwellig mitbekommen, das SM + KV mich „nicht leiden“ können). Der Wunsch von Kind 1 wurde also verneint.


    Durch diese verbalen Angriffe und Schuldzuweisungen, muss ich erstmal in psychologischer Behandlung, um mich zu stärken, da das emotional zu viel für mich war. Ein wertschätzender & lösungsorientierter Weg ist leider nicht möglich, da SM + KV von sich sehr überzeugt sind und nicht mit sich reden lassen.


    Meine Überlegung ist, ob ein gerichtlicher Weg unumgänglich ist und ob ich überhaupt eine Chance habe. Ich möchte nicht, dass es nach hinten losgeht und alles nur noch schlimmer wird für das Kind. Zuerst hoffe ich aber, dass der KV sich auf eine Familienberatung einlässt.


    Solange ich immer in Angelegenheiten bezüglich Kind 1 der gleichen Meinung war (oder nachgegeben hatte), ist der KV vernünftig zu mir gewesen. Deswegen befürchte ich, das, was ich auch tuen werde in Zukunft, alles nur noch schlimmer macht.


    Über wertvolle Gedankenanregungen und eventuelle Erfahrungswerte würde ich mich sehr freuen.


    Vielen lieben Dank im Voraus!


    Herzliche Grüße, die Mama

  • ... Zusatz: Ich habe aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten mit einer Trennungstherapeutin Kontakt aufgenommen und die Situation geschildert. Die Trennungstherapeutin und die Familienberatungsstelle (psych. Psychotherapeutin) sind davon überzeugt, dass diese Verhaltensauffälligkeiten ein "Hilferuf" sind & das Kind 1, zu- oder mehr Mama möchte. ....

  • Hi,


    Kind 1 hat bisher ein extrem unruhiges Leben gehabt, eines, was ich keinem Kind wünsche, sich aber mitunter leider nicht vermeiden lässt. Das ist keine Schuldzuweisung, man muss es einfach sehen. Ich möchte meine Antwort deshalb in zwei Bereiche aufteilen und mit dem komplizierteren nichtjuristischem anfangen.


    Kind 1 ist auffällig. Inzwischen werden wie auch bei Euch eine Reihe von Optionen angeboten, um diese Auffälligkeiten zu therapieren. Allerdings, das fällt mir in diesen Fällen immer wieder auf, ohne dass man eine wirkliche Diagnose hat. ADHS und Legasthenie, das hat sich ja inzwischen rumgesprochen, dass es das gibt; mir fallen da jedoch noch andere Entwicklungsstörungen ein, etwa die Dyspraxie oder bestimmte Formen des Autismus. Wenn wir uns in diesem Bereich bewegen, wird es schwierig, den richtigen Therapeuten zu finden; aber schon jemanden, der schon mal eine Diagnose stellen kann.


    Das tückische an diesen Störungen ist, dass sie nicht unbedingt bei einem Kleinkind auftauchen; sondern später, häufig erst in der Grundschulzeit. Ist alles kein großes Drama, nur eine Diagnose wäre hilfreich. Ich weiß von Behindertenzentren, in denen Kinder über 3 Tage durchgetestet werden von Spezialisten aus den verschiedensten Bereichen. Und wenn man dann die Diagnose hat, weiß man auch, wie es weiter gehen kann. Mach dich darauf gefasst, dass weder der Kinderarzt noch die Lehrer sich da unbedingt auskennen.


    All diese Störungen haben eins gemeinsam: die Kinder benötigen ein extrem geordnetes Leben, sie müssen lernen, zu planen. Ich würde also als ersten Schritt versuchen, eine belastbare Diagnose zu bekommen.


    So, nachher geht es weiter.


    TK

  • So, weiter geht es, jetzt kommen wir zum juristischen Teil.


    Das Kind in dem Alter und dazu noch mit Entwicklungsstörungen kann mit Sicherheit nicht einschätzen, welcher Wohnort das optimale ist. Es hat bisher furchtbar viel Veränderungen verkraften müssen. Und, Kinder haben ein unglaubliches Gespür dafür, was die Elternteile, bei denen es sich gerade aufhält, hören wollen. Sie wollen artig sein, wetten, dass es beim Vater was anderes erzählt?


    Das Wechselmodell verkraften schon viele Kinder nicht, die keine Störung haben. Das geht auch bei der Entfernung gar nicht. Bleibt also die Frage, ob man jetzt einen Wohnortwechsel riskieren kann und ob überhaupt Aussicht auf Erfolg bei der gerichtlichen Durchsetzung da sind. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist für die Kinder die Kontinuität bei der/den Hauptbezugsperson(en). Und das ist nun mal der Familienverbund beim Vater. Allerdings sind Umgangsregelungen immer, ausnahmslos immer Regelungen auf Zeit. Die Bedürfnisse der Kinder, aber auch der Eltern ändern sich. Meine Faustregel ist: je kleiner das Kind ist, desto kürzer und häufiger sollte der Umgang sein. Je älter das Kind wird, desto länger sollte der Aufenthalt sein, dafür aber durchaus seltener. Das Kind braucht nämlich auch Zeit für sich, und zwar im zunehmendem Maße; das wird bei Umgangsplanung häufig vergessen. Bitte nicht aus den Augen verlieren, wir haben 3 Monate Schulferien im Jahr, dazu kommen dann noch Brückentage.


    Ich würde jetzt also erst einmal Ruhe in das Leben des Kindes bringen, versuchen, eine Umgangsregelung zu erarbeiten, die eben der Entwicklung des Kindes auf der Basis einer sauberen Diagnose Rechnung trägt. Das sollte im Notfall auch gerichtlich durchzusetzen sein. So, und wenn die Ruhe da ist, kann man weiter sehen und vielleicht auch einen Wechsel des ständigen Aufenthaltsortes anpeilen. Aber im Augenblick ist es nach meiner Einschätzung dafür einfach noch zu zeitig.


    Ich schreib dir noch eine PN dazu.


    TK

  • Huhu timekeeper,


    vielen lieben Dank für Deine wertvollen Gedankengänge! Ich bin erleichtert Deine Worte zu lesen (das nimmt mir einen gewissen Druck). Das bestätigt auch meine andere Vermutung, die ich auch schon hatte.


    Denn ich war & bin nicht wirklich davon überzeugt, dass unser Kind hauptsächlich „nur“ solche Auffälligkeiten hat, weil sie mehr Mama möchte. Aber das Ganze ergibt sich anscheinend aus den gesamten Lebensumständen, den Bedürfnissen des Kindes, eben ein Zusammenspiel von allem.


    Auffällig ist, dass sie immer 1 Tag in der Woche hat, wo sie nichts mehr weiß (Wissen nicht abrufbar). Die SM sagt, das war ein ganz normaler Tag, da gab es keine Veränderungen, da kann man sie fragen, was ist 3 + 3 und sie weiß es nicht. Die Lehrer haben diese Auffälligkeit auch bemerkt & bestätigt.


    Bisher wurden nur ein paar Tests mit ihr durchgeführt, die einen Hinweis auf AD(H)S liefern. Der Nächste Schritt ist ab September Ergotherapie wegen ihrer mangelnden Konzentrationsfähigkeit innerhalb einer Gruppe/Klasse, um zu schauen, ob es in diese Richtung geht. Ursprünglich hat sie eine Überweisung zur Kinderpsychologin wegen dem Bettnässen bekommen. Ich habe viel recherchiert, bei z.B. ADS Kindern ist dies schon allein vermehrt vorhanden.


    Ja das kann ich bestätigen. Sie braucht viel Routine, Struktur und einen langweiligen Tag, am besten nichts Aufregendes und am besten immer das Gleiche. Und ruhig mit ihr machen. Wobei es jetzt mit dem 8. Lebensjahr schon anders ist als mit 7 oder 6 Jahren und davor. Die Kinder werden in dem Alter ja auch entwicklungsbedingt langsam „ruhiger“.


    Ja für mich wäre eine Diagnose, egal welcher Art sehr hilfreich, damit die Schuldzuweisungen aufhören und es wieder ein entspannteres Verhältnis zwischen uns gibt. Das wäre sehr wichtig nicht nur für mich, besonders auch für das Kind. Dem Kind kann es letztendlich auch nur gut gehen, wenn es den Eltern gut geht. Vor allem bei so einem unruhigen Leben.

          

    Die SM und der KV wissen auch noch nichts von dem Verdacht. Ich hatte nach einem gemeinsamen Gespräch mit der SM und der Kinderpsychologin nochmal ein alleiniges Gespräch mit der Kinderpsychologin geführt, da unser Verhältnis so angespannt ist (da wurde mir von dem Verdacht berichtet). Im Winter (nach der Ergo) soll dann nochmal ein gemeinsames Gespräch stattfinden, wo der Verdacht dann erst offiziell zur Sprache kommt, wenn es dann so ist.


    Ich denke, die Lebensumstände fördern das natürlich und zum Teil auch unser Haushalt. Ich bin auch sehr quirlig, wobei ich sehr an mir arbeite und ich auch schon ruhiger geworden bin. Ich muss ehrlich sagen, dass es sein kann, dass bei mir auch der Verdacht besteht und wenn ich noch weiter gehe, erkenne ich die gleichen Eigenschaften nicht nur bei unserem Kind und mir, sondern auch bei meiner Mama. Es gab eine Zeit, da haben wir uns alle gegenseitig „hochgeschaukelt“. Aber alles ist ein Prozess und wir wachsen mit unseren Aufgaben. Bei uns ist es ja mittlerweile auch ruhiger geworden. Einmal in Bezug auf das Familiengeschehen und in Bezug auf unseren persönlichen Eigenschaften bzw. Besonderheiten.


    Liebe Grüße

  • ohje vielleicht habe ich es umständlich formuliert... ich wollte damit sagen und dich bestätigen. Ja das sehe ich nämlich auch so wie Du.

  • Zu dem juristischen Teil:


    Dem Wechselmodell würde keiner von uns Eltern aktuell (höchstwahrscheinlich auch generell) zustimmen, auch wenn es der große Wunsch von unserem Kind ist. Erstmal halte ich nicht viel davon, da die Kinder unter Dauerstress leben durch den ständigen Wechsel und durch die Schulsituation stelle ich mir das auch noch zusätzlich echt schwierig vor.


    Der Wunsch wäre irgendwann, das Besuchswochenende auf MO früh zu verlängern (statt SO Nachmittag) und eben nochmal länger in den Ferienzeiten und mehr Feiertage. Das wäre so meine Idee. Das verlängern des Wochenendes wurde ja schon vom KV verneint, da das Kind diese Routine des Ankommens braucht.


    Im Moment muss ich aber sagen, das das nicht das Hauptthema ist. Viel wichtiger ist jetzt, heraus zu finden, wie wir das Kind unterstützen können :).


    Und wie du schon sagst, da ist eine Diagnose, welche auch immer es sein wird, von großer Wichtigkeit.